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Mittwoch, 6. Februar 2008

gemeindeleben

:gestern bin war ich beim zahnarzt und danach hab ich die kirchenblättchen, für andere eher als gemeindebrief bekannt, ausgeteilt. :ich mache diese arbeit seit etwa zehn jahren, vielleicht auch schon länger. :am anfang, als ich das für meine mutter übernommen habe, verteilte ich die blättchen fünfmal im jahr, aber das sechste mal, das übernahm meine mutter noch, weil man im januar / februar immer die druckkosten fürs jahr einsammeln muss. :und so zog meine mutter los und machte diese eine tour immer selber. :mir hätten manche bestimmt sowieso ihr geld nicht gegeben.
:mittlerweile mache ich selbstverständlich seit vielen jahren alle sechs touren im jahr. :und die „kassierrunde“ ist immer das highlight. :da treffe ich viele menschen, die ich nur dieses eine mal im jahr treffe wieder. :eine spannende Sache, zu sehen, was sich in einem Jahr alles verändert – oder hoffentlich nicht verändert. :traurig ist es immer, zu sehen, wenn alte menschen im neuen jahr nicht mehr leben oder ins altersheim gekommen sind, dort, wo ich sie nicht erreiche. :denn einfach hingehen und „hallo“ sagen, geht auch nicht. :so eine beziehung habe ich zu den meisten meiner abonennten nicht, denn wie gesagt, sehe ich die meisten lediglich dieses eine mal im jahr.
:das kann daran liegen, dass ich selbst nicht so regelmäßig beim gottesdienst in rötha anwesend bin – und die anderen auch nicht – und daran, dass ich mir die jeweiligen gesichter irgendwie nicht merken kann. :immer wieder denke ich mir, wenn sich eine tür vor mir öffnet: :“ach, so sieht er / sie also aus...“ :meistens ist es eine sie, eine ältere sie. :der anteil der männer in meinem gebiet ist schwindend gering, zu mindest der der sich zeigenden männer.
:gestern hatte ich also wieder eine kassiertour. :ich hatte mir eine stunde vorgenommen und es sind zwei geworden – und dabei bin ich noch nicht einmal die hälfte der kirchenblättchen losgeworden, weil so viele leute gar nicht zu hause waren oder nicht geöffnet haben. :gut, es war ja auch mittagsschlafzeit.
:aber ich habe mit herrn m. gesprochen. :herr m. ist 92 jahre alt und mit der rüstigste der gesamten rentnerschaft meiner tour. :es fing eigentlich ganz normal an, ich klinge, er kommt in den hausflur des mehrfamilienhauses, lächelt mich an, bittet mich in den hausflur und geht in die wohnung, um sein geld zu holen. :ich kenne ihn, er kennt mich, meine cousins und patenkinder wohnen über ihm...
:doch dann, als ich ihn fragte, wie es ihm gehe, bat er mich mit der frage, ob ich mal sehen wolle, wie er wohne, in die wohnung. :ich nahm dankend an und es begann eine lange führung durch seine kleine wohnung, seine riesige familie mit gefühlten hundert cousins, onkels, cousinen und tanten – und zweit- und drittehepartner der jeweiligen verwandten. :ich war nach wenigen minuten völlig verwirrt, aber er weiß trotz seines hohen alters genau, wer zu wem gehört und gehörte. :er zeigte mir die vielen alten bilder, die er in seiner wohnung hängen hatte, einige müssen schon an die siebzig jahre alt gewesen sein. :eine interessante reise in die vergangenheit und durch die zeit, die sich weiter über flugzeuge, briefmarken, österreich und brünn, satellitenfernsehen, zimmerpflanzen und – nubiskarten erstreckte. :ich wußte bisher gar nicht, was nubiskarten sind. :irgendwann war eine stunde um. :die zeit verging wie im fluge. :vielleicht mögt ihr, liebe leser, mir das nicht glauben, aber ich habe die zeit mit diesem alten herrn, der viel jünger scheint, sehr genossen. :wenn ein fremder ihn und seinen tag beobachten würde, würde er ihn auf vielleicht ende sechzig schätzen, mit der bemerkung: was der in dem alter noch alles kann... :fahrrad fahren zum beispiel, aber mit einem tempo, das ein ottonormalradler maximal an den tag legt, autofahren auch, ohne defizite. :also keine hutfahrer mit schrittgeschwindigkeit auf der autobahn...
:wenn ich einmal alt werden sollte, dann lieber gott, wenn du das hier liest, lass mich so alt werde, wie es herr m. ist. :ein bewundernswerter mann.
:als ich (endlich – nur zeitlich gesehen) wieder aus der wohnung von herrn m heraus war, setzte ich meine tour wenig erfolgreich wieder fort. :die nächste, die ich antrief, war frau m. :sie klagte übers alter, ebenso wie frau k. anschließend, obwohl frau m auch noch rüstig ist. :sie hat ihr eigenes einfamilienhaus mit garten, hört, sieht und läuft gut, und hat scheinbar immer eine lilafarbene kittelschürze über dem modischen pullover und stoffhose. :anfangs dachte ich noch, ich treffe sie gerade beim kochen oder bei der hausarbeit an, aber mittlerweile bin ich mir nicht so sicher, wie viel dreck eine einzelne alte frau mit 84 jahren und einer scheinbar ebenso alten katze im haus hinterlassen kann, bzw. wie viel die beiden essen – und kochen – können.
:die letzte der tour war für gestern ersteinmal frau l., die ich wie immer antraf, als sie irgendwohin wollte. : auch das ist typisch. :frau l. ist die oma eines klassenkameraden, den ich seit dem abi nur noch sporadisch sehe. :frau l. hingegen sehe ich regelmäßig im januar / februar zur kassiertour, zu ostern, zum gemeindefest und auch sonst relativ häufig. :in den zeiten zwischen unserer treffen muss sie scheinbar pausenlos auf reisen sein. :sie ist die hauptkoordinatorin eines frauenkreises, der mit dem pfarrer aus den nachbardörfern gern ausflüge in alle himmelsrichtungen unternimmt. :so hat sie mir in den vergangenen jahren von mexico, jordanien, israel usw. erzählt. :dieses jahr wollte ich mit taize auftrumpfen, weil ich ja auch mal wo war, aber das kannte sie schon. :da war sie vergangenes jahr. :unglaublich!
:wir schwatzen etwa eine halbe stunde am gartentor, wechselten die themen vom reisen auf ostern, freundinnen und beziehungen, bindungen überhaupt im leben, diplom und das erzgebirge. :letzteres in bezug auf meine mögliche zukunft, wobei ich meinte, dass ich auf keinen fall ins erzgebirge will. :ihre antwort war zustimmend und tiefblickend: „die haben ja auch ein bisschen nen riss, da unten.“ :soviel die meinung einer älteren dame zum erzgebirge. :das folgende will ich in beachtung meiner leser aus selbiger gegend nicht weiter äußern. 

--- gedankensprung ---

:in meiner praktikumsauswertung vergangenen donnerstag hat mich mein professor c.w. gefragt, ob ich mir mit blick auf das eben zu ende gegangene praktikum die gemeindearbeit nicht anders vorgestellt habe. :ich hatte mit nein geantwortet, aber im laufe der heutigen tour ist mir aufgefallen, was mir gefehlt hat, und was ich im beruf aber nicht missen will: :das direkte gespräch und die besuche bei gemeindegliedern. :für gestern habe ich von den alten so viel gelernt, wie im gesamten praktikum nicht...

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